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Kontrollierte Halluzination

Was ist Realität?

Für die meisten Menschen gibt es eine Art vernünftige Antwort: „Die Realität besteht aus Dingen wie Tischen, Stühlen, Bäumen, Häusern, Planeten, Tieren, Menschen usw., die aus Materie gemacht sind.“ Wir könnten dazu neigen, einige abstrakt anmutende Begriffe wie Raum und Zeit einzufügen, und die Gesamtheit all dieser „echten“ Dinge würde als „das Universum“ bezeichnet werden.

Einige mögen vielleicht denken, dass dies nicht die gesamte Realität ist. Insbesondere stellt sich die Frage nach der Realität unseres Geistes. Sollten wir eine bewusste Erfahrung nicht als etwas Reales einbeziehen? Und was ist mit Begriffen wie Wahrheit, Tugend oder Schönheit? Natürlich können einige Menschen einen hartnäckigen, materialistischen Standpunkt einnehmen und die Mentalität und alle ihre Eigenschaften als zweitrangig gegenüber dem materiellen Realen betrachten. Schließlich sind unsere mentalen Zustände (so würde man argumentieren) einfach auftauchende Merkmale der Konstruktion und des Verhaltens unseres physischen Gehirns. Wir verhalten uns auf bestimmte Weise nur deshalb, weil unser Gehirn nach physikalischen Gesetzen handelt - den gleichen Gesetzen wie denen, die von allen anderen Stücken physischen Materials streng befolgt werden. Die bewusste mentale Erfahrung hat dementsprechend ultimativ keine weitere Realität als das Material, das ihrer Existenz zugrunde liegt.

Diese materialistische Anschauung begann vor 2500 Jahren. Damals ging Demokrit davon aus, dass das Universum aus kleinsten Teilchen, den Atomen (griechisch átomos, das Unzerschneidbare, Unteilbare), zusammengesetzt ist, die sich in leerem Raum bewegen. Er sagte: „Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome und leeren Raum.“ Demokrit war einer der Begründer moderner Wissenschaft.

Erstaunlicherweise dauerte es noch weitere 2400 Jahre bis schließlich ein junger Wissenschaftler namens Einstein scheinbar den Beweis erbrachte, dass es Atome wirklich gab, denn sie entziehen sich ja unserer Wahrnehmung. Selbst viele angesehene Wissenschaftler glaubten vor 120 Jahren noch, Atome würden nicht existieren. Einstein benutzte die Brownsche Bewegung für seine Beweisführung und konnte sogar die Größe von Atomen ausrechnen.

Mathematik wurde in der Wissenschaft die Sprache, mit der „Realität“ beschrieben wird. Mathematik wird üblicherweise als eine Wissenschaft beschrieben, die durch logische Definitionen selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels formaler Logik auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht. Diese Art „Realität“ zu untersuchen, erscheint uns einleuchtend, denn sie fußt letztlich auf alltäglichen Erfahrungen: Ein Apfel plus noch ein Apfel sind zwei Äpfel, geteilt durch zwei Leute sind ein Apfel pro Mann, und wenn sie aufgegessen sind, bleiben null Äpfel übrig. Ein Problem entsteht, wenn diese Art von Logik mit Unendlichkeiten konfrontiert wird.

Das Unendliche

Ebenfalls vor 2500 Jahren lebte ein anderes Genie namens Zenon, der mit vielen Gedankenspielen die Unvollkommenheit von Logik und rationalem Denken aufzeigte. Das bekannteste seiner Paradoxa ist das Paradox von Achilles und der Schildkröte: Achilles läuft doppelt so schnell wie die Schildkröte, die dafür einen Vorsprung von 100m erhält (überliefert ist wohl ein Vorsprung von einem Stadion und Achilles läuft 12mal so schnell wie die Schildkröte, aber die genauen Werte sind ohne Belang für die Argumentation).

Achilles kann bewiesenermaßen die Schildkröte niemals einholen, denn wenn er den Vorsprung der Schildkröte eingeholt hat, ist diese bereits 50 Meter weiter, und wenn er dann diese Marke erreicht hat, ist die Schildkröte bereits 25 Meter weiter und so weiter ad Infinitum. Dieses Paradoxon lässt sich auch umkehren.

Man nehme zum Beispiel einen Stock, schneide ihn in der Mitte durch, schneide diese Hälfte wieder in der Mitte durch ad infinitum. Eine unendlich große Zahl von Stücken müsste einen unendlichen langen Stock ergeben.

Für unser logisches Denken ist es unabdingbar, dass Grenzen gezogen werden. In dem obigen Falle könnte man zum Beispiel argumentieren, dass man einen Wassertropfen nur bis zum Wassermolekül spalten könnte. In dem man hier also eine Grenze setzt, kann man Wasser als H2O definieren.

Setzen wir keine Grenze, verliert sich unser Denken in Unendlichkeiten und wird funktionsunfähig: Die Planck-Einheiten markieren eine Grenze für die Gültigkeit der bekannten Gesetze der Physik. Man muss davon ausgehen, dass für Distanzen kleiner als die Planck-Länge (ca. 10 hoch -35 Meter) und Zeiten kürzer als die Planck-Zeit (ca. 10 hoch -43 Sekunden), Raum und Zeit ihre uns vertrauten Eigenschaften als Kontinuum verlieren. Jedes Objekt, das kleiner wäre als die Planck-Länge, hätte aufgrund der sog. Unschärferelation so viel Energie bzw. Masse, dass es zu einem Schwarzen Loch kollabieren würde. Von Physikern werden deshalb die Planck-Einheiten halb scherzhaft „Einheiten Gottes" genannt.

Unsere begrenzte Welt

Was unser Geist braucht, um operieren zu können, sind Grenzen, die abstrakt gezogen werden. Wissenschaft versucht Realität zu begreifen, indem sie definiert, d.h. begrenzt. Definitionen erschaffen bedeutet, Bilder zu erschaffen, z.B. Theorien und Konzepte. Wahre oder absolute Realität aber, der Urgrund allen Seins, also Gott, ist weit jenseits aller Begrenzungen und Definitionen, und daher jenseits aller Bilder. Deswegen das strikte Bilderverbot im zweiten der zehn Gebote, und des allgemeinen Bilderverbots im Islam: Bilder sind tote Konstrukte, während Realität Leben ist.


Ein totes Bild, das Bewegung vortäuscht

Ein Film erscheint wie Realität und suggeriert Bewegung. Aber ein Film ist nur eine Abfolge von Bildern (normalerweise 24 pro Sekunde), die unser Hirn dann nahtlos zusammensetzt. Jedes einzelne Bild an sich ist genau definiert und die schnelle Abfolge gaukelt Bewegung vor. Unser Denken und alle wissenschaftlichen Theorien sind deswegen keine Abbildung der Wirklichkeit an sich, sondern Momentaufnahmen, die zwar den Anschein haben, konform mit Realität zu sein, so wie ein Film auch Realität vorspielt, in Wirklichkeit aber aus toten Bildern besteht. Das Resultat liegt offen vor unseren Augen: Eine zerstörte Welt zerschnitten von Grenzen, wo alles in seine jeweilige Schublade gesteckt wird, inklusive wir selber. Unser wahres Selbst ist in keiner Weise identisch mit all den Selfies, die wir von uns schießen.


Ein lebender Organismus analytisch seziert

Der feste Boden erodiert

Wissenschaft hat in der Tat in verschiedenen Versuchen festgestellt, dass Bewusstsein Realität verändert, z.B. bei dem berühmten Doppelspaltexperiment, dem Quanten-Zeno-Effekt oder auch bei Zeit als auftauchendes Phänomen von Quantenverschränkung. Bewusstsein prägt und verändert die Realität, vielleicht sogar erschafft es Realität. Dies jedenfalls glaubt Professor Robert Lanza, von der Wake Forest University School of Medicine in North Carolina. Er nennt seine Theorie „Biozentrismus" und behauptet weiterhin, dass Zeit und Raum nur Werkzeuge unseres Geistes wären. Dann wäre Tod auch nur ein mentales Konstrukt in einer Welt ohne räumliche und zeitliche Grenzen.

Diese Theorie aber, auch wenn mit wissenschaftlichen Beweisen untermauert, ist einfach zu revolutionär als das die Menschen sie akzeptieren könnten. Zu eingeprägt und psychologisch beruhigend ist die Vorstellung, dass Realität aus Elementarteilchen besteht, wie ein Haus aus Steinen besteht, und mit konkreten Gesetzen wie Gravitation zusammengehalten wird.

Leider wird dieser feste Boden zusehends von eben jener Wissenschaft erodiert, die doch eigentlich beweisen soll, dass alles hübsch geordnet nach rational begreifbaren Gesetzmäßigkeiten abläuft, und nicht von einem ungreifbaren Gott diktiert.

Schon seit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie vor hundert Jahren kommt das menschliche Bewusstsein nicht mehr mit den neuesten wissenschaftlichen Theorien mit. Wo man sich als Mensch noch leicht Newtons Konzept von Gravitation vorstellen konnte, dass alle Körper Anziehungskraft besitzen (vor allem hübsche weibliche), kann sich der Mensch kaum noch vorstellen, dass Gravitation in Wirklichkeit daher kommt, dass die Raumzeit gekrümmt wird. Richard Feynman, der wie kaum ein anderer mit Theorien zur Quantenmechanik jonglieren konnte, schrieb einmal: „Ich denke, ich kann behaupten, dass niemand wirklich Quantenmechanik versteht!“ Oder anders ausgedrückt: „dass niemand wirklich Quantenmechanik verstehen kann“, weil unser Bewusstsein nicht für solche Theorien geeicht ist. Genauso gut könnte man versuchen, einem Maulwurf zu erklären, wie der Mount Everest aussieht.

Das Doppelspaltexperiment z.B. stellt unsere eingeprägte Vorstellung von Kausalität vollends auf den Kopf. Es funktioniert folgendermaßen: Grundsätzlich bilden Wellen, die durch zwei schmale, parallele Schlitze laufen, ein Interferenzmuster auf einem Bildschirm. Dies gilt für alle Wellen, ob Lichtwellen, Wasserwellen oder Schallwellen.

Licht ist aber nicht nur eine Welle, sondern auch ein Teilchen, das als Photon bezeichnet wird. Was passiert also, wenn man ein einzelnes Photon auf die Doppelschlitze schießt? Es stellt sich heraus, obwohl es nur ein Photon gibt, bildet es immer noch ein Interferenzmuster. Es ist, als würde sich das Photon gleichzeitig durch beide Schlitze bewegen!

Aber es wird noch merkwürdiger. Durch das Beobachten des Doppelspaltexperiments ändert sich das Verhalten der Photonen! Die Idee hinter dem Doppelspaltexperiment ist, dass selbst wenn die Photonen einzeln durch die Schlitze geschickt werden, immer noch eine Welle vorhanden ist, die das Interferenzmuster auf dem Bildschirm erzeugt. Die Welle ist eine Welle der Wahrscheinlichkeit, weil das Experiment so aufgebaut ist, dass die Wissenschaftler nicht wissen, welche der beiden Schlitze ein einzelnes Photon durchläuft. Wenn man versucht, dies herauszufinden, indem man vor jedem Spalt Detektoren anbringt, um festzustellen, welchen Spalt das Photon wirklich durchläuft, zeigt sich das Interferenzmuster überhaupt nicht. Dies gilt auch dann, wenn man versucht, die Detektoren hinter den Schlitzen einzurichten und sogar, wenn man das Photon mit einem Kristall spaltet und das zweite Photon misst, nachdem das erste bereits den Bildschirm erreicht hat. Selbst wenn das zweite Photon detektiert wird, nachdem das erste Photon den Bildschirm getroffen hat, ruiniert es immer noch das Interferenzmuster. Das bedeutet, dass die Beobachtung eines Photons bereits eingetretene Ereignisse verändern kann.

Im Sumpfland

Was sich allerdings im Moment im Forschungsbereich der Stringtheorie tut, ist noch abstruser. Wissenschaftler wollen tatsächlich errechnet haben, dass unser Universum gar nicht existieren kann sondern stattdessen in sogenanntem Sumpfland liegt, einem Bereich inkonsistenter Dinge!

Die Stringtheorie ist ein Versuch, das gesamte Universum unter einer einzigen „Theorie von allem" zu beschreiben, indem zusätzliche Dimensionen der Raumzeit hinzugefügt und Partikel als winzige Schwingschleifen betrachtet werden. Viele Stringtheoretiker behaupten, es sei nach wie vor das vielversprechendste Konzept, um Albert Einsteins Traum, seine allgemeine Relativitätstheorie mit der widersprüchlichen mikroskopischen Welt der Quantenmechanik zu vereinen.

Stringtheorie definiert alle Materie und Kräfte als Schwingungen kleiner Energiebündel. Die Theorie erlaubt rund 10 hoch 500 verschiedene Lösungen, die eine vielfältige „Landschaft" möglicher Universen bilden. String-Theoretiker wie Cumrun Vafa sind seit Jahren bestrebt, unser Universum irgendwo in diese Landschaft der Möglichkeiten zu platzieren.

Nun aber vermuten Vafa und seine Kollegen, dass es in der String-Landschaft keine Universen wie das unsere geben kann! Grund: Während das Universum sich ausdehnt, muss die Energiedichte im Vakuum des leeren Raums schneller als eine bestimmte Rate abnehmen. Die Regel scheint in allen auf einfachen Stringtheorien basierenden Modellen von Universen wahr zu sein. Es verstößt jedoch gegen zwei weit verbreitete Ansichten über das tatsächliche Universum: Es ist sowohl undenkbar für das akzeptierte Bild der gegenwärtigen Expansion des Universums als auch für das Leitmodell seiner explosiven Geburt. Teleskopbeobachtungen deuten seit 1998 darauf hin, dass der Kosmos immer schneller expandiert, was bedeutet, dass das Vakuum des leeren Raums mit einer Dosis gravitativ abstoßender „dunkler Energie“ durchdrungen sein muss. Außerdem scheint es, als würde die Menge an dunkler Energie, die den leeren Raum durchdringt, im Laufe der Zeit konstant bleiben. Die neue Vermutung besagt jedoch, dass die Vakuumenergie des Universums abnehmen muss. Vafa und Kollegen behaupten deswegen, dass Universen mit stabilen, konstanten positiven Mengen an Vakuumenergie, die als „de-Sitter-Universen" bezeichnet werden, nicht möglich sind.

String-Theoretiker haben seit der Entdeckung von dunkler Energie im Jahre 1998 schwer gekämpft, überzeugende Modelle von stabilen de-Sitter-Universen zu konstruieren. Wenn Vafa jedoch Recht hat, sind diese Bemühungen logisch inkonsistent, da de-Sitter-Universen nicht in der Landschaft, sondern im „Sumpfland“ liegen.

„Die Dinge, die konsistent aussehen, aber letztendlich nicht konsistent sind, nenne ich Sumpfland“, erklärte er kürzlich. „Sie sehen fast aus wie Landschaft; man kann von ihnen getäuscht werden. Man denkt, man sollte sie bauen können, aber man kann es nicht. “

„Wie liegen im Sumpfland und es gibt uns eigentlich gar nicht? Was ist denn das für ein Quatsch“, werden die meisten Leute denken. Was aber wäre, wenn diese Theorie Recht behielte? Man stelle sich vor, man hätte seit frühester Kindheit eine Virtual-Reality-Brille auf, und dann würde jemand daher kommen und einem sagen, dass man nur in einer Illusion lebt und diese Welt gar nicht existieren würde. Könnte man das akzeptieren?

Was wäre, wenn bewiesen würde, dass unser „ICH“ auch nur eine Illusion ist?

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weiter zu:

Default Mode Network
Das, was einer materiellen Entsprechung eines Ich oder unseres autobiografischen Selbst am nächsten kommt, ist im Gehirn das sogenannte Default Mode Network (DMN). Es ist so was wie unsere Normaleinstellung im Gehirn. Es filtert und kontrolliert, was auf uns zukommt...